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Wie Ex-Drogensüchtige auf der Fazenda Gut Neuhof in Markee das alte Motto

Quelle: Märkische Allgemeine, Verfasser: ILDIKO RÖD

Der Weg zu Gott führt am Nauener Rathaus vorbei, dann in Markee am Dorfanger abbiegen und noch einmal fünf Autominuten über einen Sandweg voller Schlaglöcher. Bis zum Wegweiser - "Fazenda", das brasilianische Wort für "Landgut" -, der nach Neuhof zeigt. Neuhof, das ist die letzte Abzweigung.

Dahinter kommen gleich die Gutshäuser und ausgebauten Stallungen. In einem Tümpel vorm Stall suhlen sich Schweine, hinter einem Gatter promeniert eine Gänseschar. Schnell bewegen sich hier nur die Windräder auf den Feldern. Und das lauteste Geräusch sind die Lieder, die abends aus der Fachwerkkapelle schallen. Heidi hätte es da bestimmt gefallen.


Ein Vorleben wie ein Altrocker

Aber Heidi hatte auch kein Drogenproblem, von dem sie ohne Medikamente wegzukommen versucht. 25 früher drogensüchtige Männer leben auf der "Fazenda Gut Neuhof", betreut von katholischen Geistlichen. Ein Jahr lang nur Bibel, Bauernhof und brüderlicher Beistand, um der Sucht zu entfliehen. Kann sowas funktionieren, ist Gott ein guter Drogentherapeut?

Daniel aus Falkensee ist den Holperweg zur Fazenda zum ersten Mal vor acht Wochen hinausgefahren. Seine Mutter hatte ihn hingebracht. Fremde, die die beiden zusammen gesehen hätten, wären vielleicht ein bisschen neidisch auf Daniels Mutter geworden. So ein hübscher Sohn, ein bisschen wie die coolere Version von Prinz William. Was die Leute ihm nicht ansehen: Mit seinen 19 Jahren hat Daniel ein Vorleben, das besser zu einem Altrocker passen würde: "Mit 13, 14 habe ich mit Kiffen angefangen, hinter der Turnhalle und auf Partys. Dann harte Drogen, Ecstasy, Speed. Und danach Koks." Hunderte Euro gehen im Monat drauf, locker, aber Jobs und "so'n bisschen Beschaffungskriminalität" bringen Geld in die Drogenkasse. Mit 17 fliegt er aus der Lehre und später auch zu Hause raus. "Meine Eltern haben gesagt: ,Entweder du nimmst keine Drogen mehr oder du musst gehen.'" Ein Jahr dauert noch Daniels Kampf mit den Drogen - und endet zuerst im Jugendvollzug, dann in einer Entgiftungsstation. Irgendwann erzählt ihm die Bewährungshelferin, dass es "da was gibt in Markee". Eine Einrichtung, gratis, wo man für Essen, Unterkunft arbeitet. In der hauseigenen Fleischerei, am Bau, im Stall.

Daniel will hin, nur mal kucken. Ein freiwilliger Mitarbeiter führt ihn herum, der früher selbst süchtig war. Einer, der Ahnung hat, wie klein und elend man sich nach dem Entzug fühlt. Aber so richtig dableiben will Daniel erst, als ihn der Fazenda-Leiter, Pater Cesar Santos, zur Begrüßung umarmt. "Das war krass - wo wird man so begrüßt?" Vielleicht in Brasilien, wo Pater Cesar herkommt und woher auch die Idee der Fazendas stammt. Geboren worden ist sie vor zwanzig Jahren aus einem modernen Wunder. Eines Tages wurde ein junger Mann aus Sao Paolo auf der Straße von einem Junkie angesprochen. Ob er ihm nicht sein Rad leihen könne. "Der spinnt", dachte sich der Mann zuerst, und dann: "Was du dem Geringsten meiner Brüder tust, das hast du mir getan." Er gab dem Junkie das Rad und - pro forma - seine Adresse. Einen Tag später stand das Rad vor seiner Tür, sauber poliert. Damit begann der Kontakt zwischen der Clique des Junkies und der Kirchengemeinde des Mannes, aus dem wiederum die erste Fazenda wuchs. 33 Fazendas gibt es nun weltweit, von der Ukraine über die Philippinen bis Belgien, und seit 1998 auch in Markee. Importiert hat der Berliner Pfarrer Georg Schlüter die Idee. Schlüter besuchte 1997 gerade einen Studienfreund auf einer brasilianischen Fazenda, als die damalige Familienministerin Claudia Nolte im Zuge einer Staatsvisite vorbeischaute - und begeistert war: "Sowas wie die Fazendas brauchen wir auch in Deutschland", schwärmte Nolte und bot Schlüter eine Anschubfinanzierung.

Gleich nach seiner Rückkehr stieß der Pfarrer auf das zur Mülldeponie verkommene Gut Neuhof. Die Sanierung war abenteuerlich, aber nun floriert die Fazenda. Die Fleischereiprodukte werden im Ketziner Penny-Markt verkauft, die Eier sogar in Berlin. Eine Bäckerei gibt es auch. Außerdem helfen großzügige Sponsoren. Für den Pfarrer sind das Fügungen.

Mini-Wunder hat auch Daniel erlebt: "Früher dachte ich, ich geh nie in 'nen Stall, weil das so stinkt." Jetzt ist er begeisterter Stallhelfer. "Aber die ersten beiden Tage hier hab' ich nur gedacht, was geht 'n hier ab?" Ein echter Kulturschock war das: Bettruhe um zehn, Aufstehen um sechs. Kein Handy. Null Zigaretten. Am Abend Monopoly, Briefeschreiben statt Fernsehen. Einmal im Monat ein Ausflug.

So 'ne positive Kraft

Und dann das Beten. "Ich war ja davor noch nie in 'ner Kirche." Was hätte er da auch verloren gehabt? Bei den "Scheißgläubigen", wie er früher dachte, und den Priestern, die eh nur "so nobel" sind. Jedenfalls sicher nicht so wie Pfarrer Georg, der in seinem knallgelben T-Shirt eifrig in den Blumenrabatten herumjätet. Oder Pater Cesar, der glühende Fan der brasilianischen Nationalelf. Manchmal spielen sie nach Feierabend Korbball, Pater Cesar in seinem Rollstuhl, die Jungs ausgelassen wie Kinder.

Dann feiern sie die Messe. Die letzte Sonne fällt durchs Fenster auf den Altar, der auf einem alten Schlitten ruht - Symbol der Bewegung. Pater Cesar liest aus der Bibel. Das Vaterunser kommt Daniel nun flüssig über die Lippen. Am Ende geben sich alle in einem Kreis die Hände und jeder wünscht jedem mit einer Umarmung Frieden. Aber am besten findet Daniel das Singen, bei dem man einfach loslassen kann und "so 'ne positive Kraft kriegt". Kraft, um gegen den Lagerkoller anzukämpfen, den man ab und zu verspürt. Kraft für das Teilen, zum Beispiel von Geschenkpaketen, mit den anderen Jungs - etwas, das Junkies im Egoismus ihrer Sucht meist verlernen. Und die Kraft, sich zu öffnen. Wie Patrick aus Zürich, der zum zweiten Mal hier ist, und von seiner Einsamkeit draußen erzählt. Wo man nicht mehr die Gewissheit hat, sich immer wie bei Pater Cesar oder Pfarrer Georg aussprechen zu können. Dann stößt man eben wieder zu den alten Drogenkumpels.

Daniel will durchhalten. Nicht nochmal so einen Horror erleben wie in der Untersuchungshaft: "Da sind das erste Mal Tränen geflossen; ich hab' gedacht, dass ich mit 30 kein solches Leben will." Dass die Eltern irgendwann stolz sein sollen auf ihn.

Neulich lautete das Bibelwort des Monats auf der Fazenda "Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?" Trotzdem waren alle frustriert. Denn so wie's aussah, würde der Zaun am Schweinetümpel nicht mehr rechtzeitig zum Franziskusfest fertig werden. Kein guter Eindruck bei den Gästen von den internationalen Facendas. Also hat Daniel kurzerhand seinen Vater, der eine Dachdeckerfirma hat, um Bretter gebeten. Dann hat er tagelang den Zaun samt Gatter aufgezogen. Ganz allein und richtig schick.